Was soll ein Mensch mit dem Vorsatz, an seinem Roman zu schreiben, in Split, einer Stadt am Meer, mit unzähligen Cafés und Kneipen, eine Stadt, die Tausende von Touristen anzieht und in dessen Altstadt im Sommer kein Durchkommen ist; in der es so heiß wird, dass allein schon das Denken schweißtreibend ist, und zu allem Überfluss sollen in dieser Stadt auch noch die schönsten Frauen des Landes leben – heißt es. Kurz gesagt: Es gibt ein Dutzend Dinge, die einen Menschen mit dem Vorsatz, an seinem Roman zu schreiben, in dieser Stadt beschäftigen können. Er kann in einem der unzähligen Cafés sitzen, die deutsche Zeitung vom Vortag lesen, in seinem Kaffee rühren oder einfach auf das Meer blicken, nach dem er – in Berlin lebend – solche Sehnsucht entwickelt hat. Es treibt unermüdlich Wellen mit Kronen aus Schaum in den Hafen. Der Mensch mit dem Vorsatz, an seinem Roman zu schreiben, könnte anfangen, Wellen zu zählen und darauf warten, dass nach einigen Hundert seine Gedanken abschweifen, was sich anfühlt, als habe sich sein Hirn verflüchtigt; ein Zustand, den er im heimischen Berlin nach so vielen Meditationsabenden nie erreicht hat. Darum aber ginge es ihm gar nicht. Eigentlich hätte er im Café über den Roman nachdenken wollen, über die Konstellation der Figuren und über die Frage, ob er überhaupt in der Lage wäre, sich in die Lebenswelt einer sechzigjährigen Frau einzufühlen. Der Roman, an dem er schreiben will, handelt von der Liebe einer solchen Frau zu einem Frauenmörder.
Er hätte die weißen Schiffe der Jadrolinija im Blick, die den Hafen verlassen und auf eine der unzähligen Inseln zusteuern. Und er könnte sich fragen, ob die Liebe der beiden auf einem dieser Schiffe beginnen könnte. An der Reling. Mit Blick auf die Stadt am Meer.
Frauenmörder: »Eine wunderbare Stadt, finden Sie nicht auch? Ich verbringe jeden Sommer hier, seit meiner Kindheit.«
Sie: »Ja, ich habe mir gerade vorgestellt, wie es wäre, in dieser Stadt zu leben.«
Frauenmörder: »Aber Sie fahren in die verkehrte Richtung. Gibt es einen Grund dafür, warum Sie die Stadt gerade hinter sich lassen?«
Irgendwann sähe der Autor auf die Uhr und ihm käme der Gedanke: Es ist ja schon Mittag. Zeit, etwas zu essen. Er könnte Edi anrufen, Edi geht gern mittags einen »Coffee« trinken und wenn der Autor dann sagte, er habe schon seinen Kaffee getrunken und würde lieber etwas essen, könnte er Edis Lachen hören. Edi hat den Eindruck, der Autor äße den ganzen Tag, aber dann träfen sie sich bei Fife und äßen beide etwas. Und tränken ein Bierchen, obwohl der Autor in Berlin nur sehr selten Bierchen trinkt. Von Fife wiederum ist es nicht weit nach Marjan, wo man wunderbar am Strand liegen oder auch im Meer schwimmen kann. Von Fife aus ist es genauso weit nach Marjan wie zur Wohnung, die dem Autor für vier Wochen als Zuhause dient und in der er sich eigentlich aufhalten sollte, um an seinem Roman zu arbeiten. Nach einer weiteren Stunde könnte er beschließen, in die Wohnung zu gehen, um seine Badehose zu holen. Auf dem Weg nach Hause fiele ihm ein, dass er noch einkaufen könnte, weil er außer zwei Thunfisch-Dosen nichts im Haus hat und die Wohnung zwar alles bietet, was man zum Schreiben benötigt – Strom, Schreibtisch, Internet, Ruhe, Einsamkeit – aber keine Haushälterin. Es kann passieren, dass es eine Stunde dauert, bis der Autor sich wieder aus der Wohnung traut. Er hat einen seltsamen Nachbarn, der einmal am Tag vor die Tür tritt und politische Tiraden in die Nachbarschaft brüllt, die der Autor nicht versteht. Er spürt nur am Tonfall und der Lautstärke, dass es dem Mann ernst ist und lugt ängstlich durch den Türspion.
Letztlich käme er dann irgendwann doch noch nach Marjan, um dort den Abend in netter Begleitung zu verbringen. Das Meer, der Blick auf die Inseln, das Zirpen, die nette Begleitung – er würde sich fragen, wieso er eigentlich in Berlin lebt, einer Stadt weit entfernt vom Meer. Und finge an, all die Menschen zu beneiden, die in Split leben, Edi, Maja, Katja und all die anderen, die nach der Arbeit den Tag am Strand ausklingen lassen können. Dann fiele ihm mit Schrecken ein, dass er den Tag am Strand ausklingen ließe, ohne zuvor an seinem Roman gearbeitet zu haben. Und das jeden Tag aufs Neue, vier Wochen lang. Das zumindest war die Sorge, mit der er jeden Morgen aufgewacht ist – vier Wochen lang. Er hat jeden Tag gekämpft, mit sich und den Versuchungen dieser Stadt. Und hatte dann nach vier Wochen den Ruf des strebsamen Deutschen, der all den Versuchungen zum Trotz lieber an seinem Schreibtisch saß, um an seinem Roman zu arbeiten. Er blieb die meiste Zeit in seiner Wohnung, hin und wieder trat er auf seinen Balkon, setzte sich und zog an einer imaginären Zigarette, die er als Nichtraucher nicht besaß – auch das durchaus eine Herausforderung in der Stadt: Nichtraucher und –trinker zu sein. Wie nur hat er es geschafft, an seinem Roman zu arbeiten, statt eines der Schiffe zu besteigen, um nach Hvar, Brac oder Solta zu fahren, weit weg von Schreibtisch und Computer? Er wurde oft gefragt. Und er antwortete: »Disziplin. Schreiben ist Disziplin. Nichts anderes.«
Erst nach 18 Uhr machte er sich auf den Weg in die Altstadt, um den Rest des Abends in einem der Cafés oder Restaurants zu sitzen und aufs Meer zu blicken. Und er dachte: Wie wunderbar es ist, in einer Stadt zu leben, in der man nach der Arbeit am Meer sitzen kann. Zwei Mal nur verließ er während der vier Wochen die Stadt. Als er mit Edi nach Sarajevo fuhr, um dort aus seinem Roman zu lesen. Und als er das Flugzeug bestieg, das ihn zurück nach Berlin brachte. Mit dem Abstand von einigen Wochen ist er einerseits sehr glücklich, weil er seinen Roman in einer ersten Fassung fertig geschrieben hat, was ihm in Berlin nicht gelungen wäre. Es war gut, fern des Alltags zu sein, ohne Familie und soziale Verpflichtungen. Andererseits träumt er sich des Öfteren zurück und denkt, wie schön es auch hätte sein können, wenn der Mensch, der mit dem Vorsatz nach Split gegangen war, an einem Roman zu schreiben, statt dessen die Tage in den Cafés verbracht hätte, den Wellen mit den Kronen aus Schaum zuschauend. So oder so: Split war ein Traum. Und Maja und Edi die Feen. Einen Wunsch aber hat der Autor trotzdem noch: Nächstes Jahr das gleiche Stipendium. Bitte.
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